Beziehung am Ende aber keiner macht Schluss

Beziehung am Ende aber keiner macht Schluss

Aus der Praxis wissen wir, dass unterschiedlichste Paardynamiken zu einem gefühlten Ende einer Beziehung führen können, ohne dass jemand Schluss macht. Gemeinsam haben diese Dynamiken, dass die Partner nicht verstehen, warum sie den Schlussstrich nicht ziehen können und fühlen sich nicht selten hin- und hergerissen, festgefahren und hilflos. 

Natürlich kann es dafür Gründe geben, wie aktuell eigentlich angedachte Familienplanung, oder das bereits bestehende gemeinsame Haus, die gemeinsame Firma, die Kinder. Aus unserer Erfahrung ist die häufigste Antwort, warum sich diese Paare nicht trennen, eine andere: Vermeidung unangenehmer Gefühle!

Das klingt vielleicht erstmal paradox, weil es nicht unbedingt angenehm ist, verwirrt und nicht wirklich glücklich in einer Beziehung zu stecken, die eigentlich längst am Ende ist. Was dadurch vermieden wird, ist also für viele Menschen oft vermeintlich noch schlimmer, als in dieser Beziehung zu bleiben. 

Vermeidung von Schuld und Scham 

Wir wissen, dass es sich hier ganz häufig um Gefühle von Schuld und Scham handelt! Beides völlig menschliche Gefühle, für die meisten von uns aber nachvollziehbarerweise massiv unangenehm und schwer auszuhalten. 

Ein schlechtes Gewissen oder Schuld fühlen wir dann, wenn wir das Gefühl haben, einen Fehler gemacht zu haben. Sich nicht zu trennen heißt also Gewissensbisse bezogen auf die Trennung nicht spüren zu müssen. Wir können so auch das Szenario umgehen, eine Entscheidung zu treffen, die wir bereuen könnten.

Wenn wir uns nicht trennen, können wir auch Schuldgefühle vermeiden, die aufkommen können, wenn wir uns von unseren Freunden und Familie unverstanden oder abgelehnt fühlen, weil wir Schluss gemacht haben. 

Und auch die Reaktion des Partners können wir vermeiden, die vielleicht Schuldgefühle in uns auslösen würde.

Scham geht nochmal in eine etwas andere Richtung als Schuld. Wenn wir uns schämen, bezieht sich das nämlich selten auf eine konkrete Situation und das Gefühl, etwas falsch zu MACHEN. Es geht noch tiefer, da wir bei Scham das Gefühl haben, falsch zu SEIN. Oder zumindest nicht ganz “richtig, normal, genügend, liebenswert usw.”. 

Wir schämen uns vielleicht dafür, schon wieder eine Beziehung nicht hinbekommen zu haben. Vielleicht schon wieder an einem ähnlichen Punkt in der Partnerschaft “gescheitert” zu sein. 

Schuld und Scham sind also unglaublich unangenehme Gefühle und es ist nur nachvollziehbar, beide nicht spüren zu wollen. Solange ich nicht handle, kann ich auch nichts falsch machen. Und solange ich nichts falsch mache, kann ich mich auch nicht ungenügend, wenig liebenswert und beziehungsunfähig fühlen oder meinen Glauben bestätigen, eigentlich keine schöne Beziehung verdient zu haben.

Wir kämpfen um unsere Grundbedürfnisse

Aus der Praxis wissen wir, dass Klienten sich auch dann nicht trennen, obwohl die Beziehung am Ende ist, da nicht nur unangenehme Gefühle die Konsequenz wären, sondern dadurch auch Grundbedürfnisse bedroht werden. Je größer unser Bedürfnis nach beispielsweise Sicherheit, Kontrolle und auch Bindung, desto schwieriger wird es uns fallen, eine Beziehung, die am Ende ist, wirklich loszulassen. 

Sicherheit, Kontrolle und Bindung zu verlieren bedeutet, dass wir uns hilflos, ohnmächtig, allein und ängstlich fühlen würden. Es ist nur nachvollziehbar, dass wir das lieber vermeiden wollen, wenn wir nicht wissen oder nicht gelernt haben, diese Gefühle regulieren zu können. 

Für viele Klienten bedeutet das: “Lieber bin ich etwas unglücklich, dafür aber vorhersehbar und daher vordergründig “sicher” vergeben, als in der unsicheren, ungewissen, ungewohnten und unangenehmen Single-Position.”

Egal, ob unangenehme Gefühle oder verletzte Grundbedürfnisse, Fakt bleibt: Vermeidung hat seinen Preis!

Bindungsverlust durch Vermeidung

Wir bezahlen damit, dass durch wiederkehrende Vermeidungsverhalten in der Partnerschaft nach und nach Bindung verloren geht. Unangenehme Gefühle können wir zum Beispiel dadurch vermeiden, indem wir uns ablenken, wenn sie auftauchen, uns zurückziehen oder “auf Durchzug” schalten. Wir distanzieren uns also von dem unangenehmen Gefühl, von der Situation, und damit auch von unserem Partner. 

Dadurch wird immer mehr Distanz zwischen zwei Partnern kreiert und wir fühlen uns mit der Zeit immer weniger mit dem anderen verbunden. Emotionale Verbundenheit fühlen wir nämlich dann, wenn wir uns verstanden, gehört und gesehen fühlen. 

Und das können wir nur dann, wenn wir unsere Gefühle und Bedürfnisse transparent mit dem Partner teilen. Selbst dann und vor allem dann, wenn dadurch ein Konflikt entstehen könnte, weil die Bedürfnisse des anderen dadurch erstmal frustriert oder verletzt werden. 

Wenn Klienten dieses Gefühl emotionaler Nähe miteinander gar nicht kennen oder es viel zu lange her ist, sitzt das Paar plötzlich nicht mehr auf der Couch, sondern gefühlt auf zwei weit entfernten Eisschollen. 

Dazwischen gibt es quasi noch einen unsichtbaren Gast, der zu der Beziehung, der beiden dazugehört und sie trotz Bindungsverlust doch irgendwie zusammenhält: Vermeidung. Und genau das hält sie in der Beziehung, die eigentlich am Ende ist. 

Da Vermeidung bei einem Partner und häufig auch in der Dynamik mit einem zweiten Vermeider in der Beziehung ein Klassiker im Paartherapiesetting ist, gibt es zu diesem Thema bald einen eigenen Artikel.  

Wie kann ich aber jetzt diesen Gast in den Urlaub schicken oder besser gleich mit einem One-Way-Ticket für immer loswerden?

Wie können Partner gemeinsam die Beziehung retten, obwohl die Beziehung am Ende zu sein scheint?

Vermeidungsverhalten ist die Konsequenz starker emotionaler Aktivierung von unangenehmen Gefühlen wie Schuld, Scham, Angst, Hilflosigkeit etc. Je intensiver diese Gefühle in einer Situation aufkommen, desto mehr wird unsere vordere Hirnregion buchstäblich lahmgelegt. 

Da diese für Denken, Struktur und logisches Handeln verantwortlich ist, sind wir genau dazu dann nicht mehr in der Lage. Im Gegenteil: Unser Organismus sendet uns Warnsignale und wir versuchen so schnell wie möglich all diese Gefühle loszuwerden, unter anderem durch Vermeidung. 

In der Praxis arbeiten wir daher zunächst an Fähigkeiten der Emotionsregulation und Selbstberuhigung. Diese geben Partnern die Sicherheit, mit ihren unangenehmen Gefühlen eigenverantwortlich umgehen zu können. Dann wird Vermeidung überflüssig. 

Selbstaufmerksamkeit und Emotionsregulation

Die Basiskompetenz, um eine langfristig hilfreiche Strategie zur Selbstberuhigung entwickeln zu können, ist Selbstaufmerksamkeit. Das bedeutet, das eigene Innenleben mit Gefühlen, Bedürfnissen und Zusammenhängen mit Körper- und Verhaltensreaktionen wahrnehmen und richtig einordnen zu können.

Ein Beispiel: Partner A bemerkt eigenen Ärger, weil Partner B jedes Mal ausweicht, wenn das Thema “Kinder kriegen” aufkommt. Weiter wird Partner A klar, dass sich hinter dem Ärger noch andere Gefühle verstecken: Traurigkeit, Enttäuschung, Hilflosigkeit und sich alleingelassen fühlen.

Vielleicht bemerkt Partner A zusätzlich, dass sie oder er sich von Partner B eigentlich Sicherheit, Wertschätzung und Bindung wünscht, diese aber durch dessen Vermeidung des Themas nicht bekommt. 

Partner B weiß aber von alldem nichts. Und es bleibt auch unklar, dass Partner B immer wieder vor dem Thema flüchtet, weil damit Gefühle der Scham, Unsicherheit und Schuldgefühle Partner A zu enttäuschen stecken, die durch den Rückzug vermieden werden.

Wenn wir uns selbst gut wahrnehmen, können wir dies potenziell auch in einem zweiten Schritt auf Augenhöhe mit unserem Partner teilen. Dadurch fühlen wir uns erst ehrlich, verstanden und gesehen – absolut essenziell für unser Bindungsgefühl. 

Tatsache ist, egal ob wir diese Erkenntnisse teilen oder nicht, sie haben eine beruhigende Wirkung auf uns. Unsere frontale Hirnregion und damit unsere Denk- und Handlungsfähigkeit bleiben aktiv. Zusätzlich stärken wir mit Selbstaufmerksamkeit gezielt unseren Umgang mit unangenehmen Gefühlen.

In einem nächsten Schritt können wir weitere konkrete Methoden zur Selbstberuhigung entwickeln, wodurch die Vermeidung immer seltener zu Gast ist. 

Fazit: Beziehung am Ende aber keiner macht Schluss

Als Paartherapeuten wissen wir, dass es sehr, sehr schwierig sein kann, hartnäckige Vermeidungsmuster zu durchbrechen und es oft mehr bedarf als nur guten Willen. Es kommt natürlich vor, dass die Aufgabe für einen von beiden zu groß ist oder dem anderen zu lange dauert oder beide Partner es nicht schaffen, aus ihren Vermeidungsmustern auszubrechen. 

Es muss nicht unbedingt sein, dass nach dem Verstehen und einer gemeinsamen Klärung der Prozess beginnt, die Beziehung gemeinsam zu retten. Vielleicht wird dem Paar darüber auch klar, dass sie sich eigentlich trennen möchten. In beiden Fällen werden beiden Partnern die Fähigkeiten zur Selbstaufmerksamkeit und Selbstberuhigung helfen, sich mutig und ohne weitere Vermeidung auf den Prozess dieser Entscheidung einlassen zu können.