Wir alle wünschen uns eine gute und sichere Beziehung. Viele Paare in der Paartherapie Praxis berichten davon, bei jedem Streit an Trennung zu denken. Damit wird unser Bindungsgefühl jedoch sabotiert, weil wir unseren Partner damit auf Distanz bringen.
Aber genau darum geht es manchmal eben. Es kann sich kurzfristig sehr viel besser anfühlen, an Trennung zu denken und diese Gedanken sogar auch auszusprechen, als die im Konflikt entstehenden unangenehmen Gefühle auszuhalten.
Aus der Praxis wissen wir nämlich, dass es sich in den seltensten Fällen um ernste Beziehungszweifel handelt, die im Streit ans Tageslicht kommen.
Warum denke ich bei jedem Streit an Trennung, obwohl ich gar keine Zweifel an der Beziehung habe?
Wenn wir bei jedem Streit in der Beziehung an Trennung denken oder damit drohen, dann häufig, weil dieses Verhalten uns paradoxerweise kurzfristig zu beruhigen scheint. Wenn man genauer hinsieht, ist es gar nicht mehr so paradox, sondern sogar sehr verständlich.
Streit löst Stress in unserem Körper aus und wir sind in Alarmbereitschaft. Ähnlich wie im Tierreich haben wir jetzt automatisch Reaktionsmöglichkeiten: Flüchten, Ergeben, uns tot stellen oder kämpfen.
Hartnäckige Trennungsgedanken oder -androhungen zählen zur letzten Kategorie: Wir kämpfen! Einerseits um unser Sicherheitsgefühl wiederherzustellen, andererseits vor allem um den Bindungsverlust nicht so sehr zu spüren, indem wir den anderen auf Distanz bringen.
Das hat einen weiteren kurzfristig sehr beruhigenden Effekt: Wir spüren alle unangenehmen Gefühle weniger. Streit löst nämlich in vielen Menschen beispielsweise Ohnmachtsgefühle, Schuld oder Scham aus. Alles drei die mitunter unangenehmsten Gefühle, die wir haben können und natürlich wollen wir sie nicht spüren, wenn es irgendwie anders möglich ist.
Ohnmacht bedeutet Kontrollverlust, hilfloses Ausgeliefertsein, keine Chance und Handhabe haben. Schuld ist die Steigerung eines schlechten Gewissens, wir haben das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Scham geht noch etwas weiter. Wir haben grundlegend das Gefühl, falsch zu sein, in unserer gesamten Person, auch über die Situation hinaus.
All das ist verständlicherweise weitaus unangenehmer und für viele Menschen überfordernd und fast unaushaltbar. Trennungsgedanken scheinen hier somit das automatisch ausgelöste Verhalten und die kurzfristig sehr viel erträglichere Variante. Dies schadet jedoch langfristig der Partnerschaft.
Die Rolle des Partners als Auslöser
Manchmal werden diese unangenehmen Gefühle durch das Streitverhalten des Partners ausgelöst oder verstärkt. Dazu können destruktive Muster wie Manipulation oder aggressive Kommunikation zählen, aber auch eher passives Verhalten wie Vermeidung aufseiten des Partners kann Desinteresse signalisieren und Trennungsgedanken weiter verstärken.
In der Realität sitzen jedoch in den allermeisten zwei Menschen in der paartherapeutischen Praxis, deren Verhalten beidseitig durch den anderen verstärkt wird und ein gemeinsamer Teufelskreis entsteht. Finger Pointing und die Suche nach dem Auslöser im Partner ist damit erstmal nachvollziehbar, aber nicht hilfreich für die langfristige Stabilität unserer Beziehung.
Es ist viel wichtiger, erstmal selbst zu verstehen, was genau diese Trennungsdrohungen triggert, um eine stabile Partnerschaft zu fördern. Vielleicht kennen wir es ja auch aus anderen Beziehungen, dass es uns hilft, unser Gegenüber im Streit erstmal auf Distanz zu bringen? Und ist uns bewusst, was dieses Verhalten beim anderen auslöst?
Trennungsandrohungen lösen in unserem Partner nämlich kaum ein Bedürfnis nach Bindung aus. Dieser soll sich zwar zunächst und wird sich höchstwahrscheinlich auch eher entfernen, als einen Schritt auf uns zuzugehen. Dadurch sabotieren wir jedoch langfristig unsere Bedürfnisse nach Bindung und Sicherheit, was das Ganze eigentlich sehr tragisch macht und die Partnerschaft gefährdet.
Egal ob Trennungsgedanken oder -androhungen, Fakt bleibt, dass dadurch emotionale Nähe torpediert wird und wir gegen statt für eine sichere Bindung arbeiten. Falls also keine generellen Beziehungszweifel bestehen, ist der Wunsch oft groß, aus dieser Dynamik herauszukommen. Dennoch sehen wir über beiden Köpfen auf dem Praxissofa genau dabei anfangs immer zwei große Fragezeichen.
Wie kann man den Gedanken an eine Trennung in der Beziehung überwinden?
Es ist entscheidend, sich diese Fragen zu stellen: “Was lösen Streitigkeiten bei mir aus, bevor Trennungsgedanken auftauchen? Sind es vielleicht Unsicherheiten oder Befürchtungen? Fühlen sich meine Muskeln dabei angespannt an oder mir wird übel?”
Es geht darum, sich selbst hier besonders gut wahrzunehmen, und zwar auf allen Ebenen: Verhalten und Gedanken, aber eben auch Körper und Emotionen. Unser ganzer Organismus sendet uns nämlich Signale, die uns potenziell helfen sollen, ein Ungleichgewicht oder eine Bedrohung zu erkennen.
Streit zählt genau zu dieser Kategorie. Wir müssen nur lernen, die Signale mitzubekommen und richtig einzuordnen.
Man könnte sagen, dass wir lernen sollten, uns selbst mehr von innen zu sehen, um dann später den anderen besser von außen sehen zu können. Dafür brauchen wir nicht nur eine gute Portion der Fähigkeit, unsere Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, sondern auch diese beruhigen zu können.
Denn nur, wenn ich das Gefühl habe, mit unangenehmen Gefühlen wie Ohnmacht, Schuld und Scham umgehen zu können und eine Idee habe, wie ich diese gut regulieren kann, sind Trennungsgedanken als Notschutzschild davor nicht mehr nötig.
Erst nachdem diese Gefühle beruhigt sind, können wir unserem Partner unsere Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse auf hilfreiche Weise mitteilen. Wir brauchen unseren Partner nicht mehr auf Distanz zu bringen, weil wir uns selbst verstehen, regulieren und mitteilen können.
Nur so fühlen wir uns wirklich gesehen und verstanden – absolut essenziell für unser Bindungsgefühl und damit sozusagen das Gegengift für Trennungsgedanken.
Wann sollte man ernsthaft über eine Trennung nachdenken?
Wenn Partner sich emotional distanzieren, nichts mehr ansprechen oder bewusst destruktive Verhaltensweisen zeigen, kann das ein Hinweis darauf sein, dass die Beziehung in Gefahr ist.
Obwohl es wichtig ist, an einer Beziehung zu arbeiten, gibt es Zeiten, in denen eine Trennung ein wichtiger Schritt sein kann.
Wenn du dich ständig respektlos behandelt oder emotional manipuliert fühlst, können Trennungsgedanken ein Signal dafür sein, dass eine Trennung der richtige Schritt sein könnte.
Achte auf Warnzeichen wie verbale oder physische Gewalt, dauerhafte Vernachlässigung, unkontrollierbare und unbegründete Eifersucht oder ständige massive Schuldzuweisung.
Wenn solche Verhaltensweisen auftreten, ist es wichtig, deine eigenen Grenzen zu respektieren und in Erwägung zu ziehen, ob eine Trennung der beste Weg ist, um deine Sicherheit und dein Wohlbefinden zu schützen.
Den die häufigsten Gründe für eine Trennung sind Affären, Gewalt in einer Beziehung oder grundlegende Werte- und Lebensstilunterschiede.
Ein Beispiel für dieses Szenario könnte sein, wenn ein Partner regelmäßig herabsetzende Kommentare macht, Kontrolle ausübt oder dir das Gefühl gibt, wertlos zu sein.
In solchen Fällen sind Trennungsgedanken nicht nur normal, sondern können ein notwendiger Schritt zur Selbstachtung und emotionalen Heilung sein.